Wenn es etwas gibt, das wirklich geheimnisvoll ist, dann ist es das Schreiben. Ich nehme einen Stift zur Hand, ein Wort fliegt mir zu, z. B. 'Handschuh', und ich schreibe einen kleinen Text dazu, ohne zu wissen, was das werden wird. Es schreibt sich aufs Papier, als wüsste es, wohin die Reise geht. Woher kommt der Text? Was ist das, das schreibt? Ich?
Der Glaube, Schriftsteller wüssten, was sie schreiben, ist ein Irrglaube. Sie wissen es meistens nicht. Vielmehr geben sie sich einem Wissen hin, das sich ihrer Kontrolle entzieht, das ein eigenes Dasein jenseits des bewussten Denkens führt. Einen Zugang zu diesem Wissen, der zugleich auch eine Schöpfung dieses Wissens ist, bietet das Schreiben. Es ist, als entstünde und öffnete sich im Moment des Schreibens eine Tür und mit ihr ein dunkler Raum, in dem man nach und nach eine Ordnung erkennt und schafft. Ein aktuelles Beispiel für dieses sich immer wieder ver- und entschlüsselnde Wissen lieferte im Mai 2018 Christian Kracht, als ihm durch die Berichte seiner Mitschüler klar wurde, dass er als Jüngling im Internat von einem Priester sexuell missbraucht wurde und dann entdeckte, dass all seine Bücher, die er bis dahin veröffentlicht hatte, unter der Hand genau das – verschlüsselt – verhandelten. Der Text weiß mehr als der Autor. Und nicht selten steckt in ihm eine versiegelte Geschichte.